Jeden Abend um 18:55 Uhr sitzt Ciro vor der Haustür, um auf sein geliebtes Herrchen zu warten, der stets um 19 Uhr nach Hause kommt. Auch heute Abend verharrt der Mischlings-Rüde geduldig im Flur - leider vergeblich. Ein Anblick, der für sein Frauchen umso schmerzhafter ist, denn sie weiß, was Ciro noch nicht verstanden hat: Sein Herrchen wohnt hier jetzt nicht mehr.
Meist beginnt alles so schön. Zwei Menschen treffen sich, die Funken sprühen und schon bald darauf will man jede freie Minute miteinander verbringen. Alles läuft wie am Schnürchen und irgendwann stellt man fest – aus Verliebtheit ist Liebe geworden. Der Umzug in die erste gemeinsame Wohnung folgt und plötzlich steht die Frage im Raum: Was hältst du eigentlich von einem gemeinsamen Hund?
Der Hund ist ein Gewohnheitstier
So war es auch bei Ciros Besitzern. Bei einem “Wir-gucken-erstmal-nur“-Tierheimbesuch entdeckte das junge Paar den kleinen Mischlings-Welpen und verliebte sich so einstimmig und unwiderruflich in den kleinen Mann, dass die Entscheidung gefallen war. Ciro war von diesem Tag an ihr ein und alles – er machte das Pärchen zur Familie. Die Jahre vergingen, eine gemeinsame Routine entstand, und der schlaue Mischlings-Rüde lernte, wann sein Herrchen allabendlich Feierabend machte.
Hunde können nicht nur ein ausgesprochen gutes Gefühl für Tageszeiten entwickeln, sondern sind generell für Gewohnheiten sehr empfänglich. Vierbeiner, die zum Beispiel immer zur selben Zeit Futter bekommen, wissen irgendwann ganz genau, wann diniert wird. Einige sitzen schon aufgeregt vor dem Napf, fangen an zu jaulen oder bekommen sogar richtig Magenprobleme, wenn es mal später wird. Denn das Körpergedächtnis des Hundes beginnt zur gewohnten Fütterungszeit provisorisch Magensäure zu produzieren, um die Verdauung zu beschleunigen. Das kann beim geliebten Vierbeiner zu Sodbrennen, Reflux oder einer Magenschleimhaut-Entzündung führen. Gewohnheiten und Erwartungshaltungen haben in der Hundeerziehung eben zwei Seiten. So geben sie dem Hundealltag Struktur und Ordnung, verfestigen sie sich doch über die Zeit und es tritt eine unvermeidbare Veränderung ein, entsteht Verwirrung, Unsicherheit und Stress. Im Leben von Mensch und Tier kann es immer zu Umbrüchen kommen, sei es ein Umzug, eine Trennung oder auch Nachwuchs in der Familie. Deshalb sollte man in der Hundeerziehung auf eine gute Balance zwischen Routine und Abwechslung achten.
Der Hundevertrag
Für Ciro ist es dafür leider zu spät und er muss auf die harte Tour lernen, wie verwirrend Veränderungen sein können. Doch zum Glück heilt die Zeit alle Wunden und Ciro wird sein Herrchen bald wiedersehen. Zwar nicht pünktlich um 19 Uhr, dafür zweimal die Woche zum Spazierengehen. Denn seine Besitzer haben alles richtig gemacht: Sie haben vorab eine Regelung über den Verbleib von Ciro für den Fall einer Trennung getroffen und diese sogar schriftlich festgehalten. So gibt es bei seinem Herrchen und Frauchen zumindest in dieser Angelegenheit kein weiteres Streitpotenzial. In ihrem “Hundevertrag“ hat das ehemalige Paar festgelegt, bei wem Ciro bleiben wird, wie die Finanzen zu regeln und wann Besuchszeiten sind. Im Fokus sollte dabei immer das Wohlergehen des Hundes stehen - auch wenn dies manchmal Abschiednehmen bedeutet. Denn der Hund sollte nur ein festes Zuhause haben. Wird er ständig hin und her geschoben, tut ihm das auf Dauer nicht gut. Über Spaziergänge und kleine Ausflüge mit Herrchen oder Frauchen freut sich der Vierbeiner dann umso mehr. Auch Ciro wird durch das baldige Wiedersehen mit seinem Herrchen den anfänglichen Trennungsschmerz zügiger überwinden und vielleicht feststellen, dass Herrchen und Frauchen einzeln irgendwie viel zufriedener sind. Sie beschäftigen sich endlich wieder intensiver mit ihm als mit ihren Beziehungsproblemen.
Tierisch gute Ablenkung
Hunde sind unglaublich feinfühlig. Einige können sogar Empfindungen, Stimmungen oder sogar Krankheiten beim Menschen erspüren und erschnuppern, bevor diese sich selbst darüber im Klaren sind. Läuft der Hund also mal nicht rund, ist verunsichert oder im Wesen verändert, lohnt es sich, das eigene Verhalten zu hinterfragen. Die Zeit der Trennung ist oft geladen von Wut und Enttäuschung. Trauern und Heilen ist wichtig, doch für Hund und Mensch muss das Leben weiter gehen. Ablenkung ist alles und ein Spaziergang an der frischen Luft mit dem treuen Gefährten an der Seite sorgt für die nötige Klarheit im Kopf. Ciro hat inzwischen verstanden, dass sich das Warten vor der Tür nicht mehr lohnt. Er hat aber auch verstanden, dass es wieder ruhiger und friedlicher in seinem Zuhause geworden ist und dass er jetzt, von beiden Seiten doppelt verwöhnt wird. Denn so hat sich zwar die Liebe zwischen seinen Besitzern verändert, aber niemals die, die sie für ihren süßen Mischling empfinden. Ciro spürt nun - als Trennungshund lebt es sich manchmal gar nicht so schlecht.
Von Louisa Knoll